Ultimatum an die NATO
von Rainer Rupp
erschienen am 25.11.2000 in der Jungen Welt
Belgrad fordert entschiedenes Vorgehen gegen albanische Terroristen.
Während sich der neue jugoslawische Präsident Vojislav Kostunica am Freitag beim EU-Balkangipfel in Zagreb Anfeindungen ehemaliger kroatischer Gewaltsezessionisten ausgesetzt sah, gerieten seine Sicherheitskräfte – serbische Polizei und jugoslawische Armeeeinheiten – im Süden Serbiens erneut in Bedrängnis. Seit Tagen führt die albanische Untergrundgruppe UCPMB (Befreiungsarmee von Presevo, Medvedja und Bujanovac) Terrorangriffe in der sogenannten Pufferzone zwischen dem KFOR-Protektorat Kosovo und dem Süden Serbiens durch.
Am Freitag nachmittag sah sich die serbische Regierung gezwungen, der KFOR-Führung ein Ultimatum zur Beendigung der Offensive albanischer Terroristen in dieser Region zu stellen. Die NATO-geführten Kosovo-Truppen hätten bis Montag abend Zeit, die Angriffe in der entmilitarisierten Grenzregion zum Kosovo einzudämmen, sagte einer der drei serbischen Innenminister, Bozo Prelevic, am Freitag. Nach Ablauf der 72-Stunden-Frist, die am Freitag um 19 Uhr Ortszeit begann, würden serbische Sicherheitskräfte in das Gebiet einrücken.
KFOR-Soldaten hatten am Donnerstag beobachtet, wie Ziele in Südserbien von albanischen Terroristen beschossen wurden. Daraufhin wurden die Zufahrtsstraßen in die Region gesperrt. In der Kosovo-Hauptstadt Pristina wurde unterdessen am Donnerstag Xhemalj Mustafa, politischer Berater des als »gemäßigt« geltenden kosovo-albanischen Politikers Ibrahim Rugova, auf offener Straße erschossen.
Unter dem Titel »Neue Gefahren für die NATO im Kosovo« schreibt das US-Nachrichtenmagazin Time in seiner jüngsten Ausgabe, daß »in Washington die Idee, die amerikanischen Truppen aus dem Kosovo abzuziehen, immer attraktiver wird«. Die NATO-Truppen könnten sich dort »schon bald inmitten eines heißen Krieges befinden«. Als der Artikel am Donnerstag erschien, befanden sich die UCPMB- Aktivisten mitten in ihrer Offensive in Südserbien. Sie eroberten mehrere Kontrollposten der serbischen Polizei und kontrollierten eine wichtige Verbindungsstraße. Die serbischen Sicherheitskräfte mußten sich aus dem Gebiet weitgehend zurückziehen.
Während UN- und NATO-Vertreter die Angriffe der Albaner verurteilten und Jugoslawien zugleich zur Zurückhaltung aufriefen, hatte sich Präsident Kostunica noch vor seiner Abreise nach Zagreb mit dem Generalstab der jugoslawischen Armee zu einer Krisensitzung getroffen. Für die jüngste Mordserie an Serben und Roma im Kosovo und die Terrorangriffe aus dem Kosovo über die Verwaltungsgrenze zu Südserbien hinweg machte er die NATO direkt verantwortlich. Bei einem Besuch in der umkämpften Region Südserbiens erklärte Kostunica, die Sicherheitslage in der entmilitarisierten Zone und im Kosovo verschlechtere sich von Tag zu Tag.
Wirkung aber scheint erst die Drohung des jugoslawischen Innenministers Zoran Zivkovic erzielt zu haben, speziell ausgebildete Antiterroreinheiten der serbischen Polizei in das Krisengebiet einschließlich der demilitarisierten Pufferzone entlang der Verwaltungsgrenze zum Kosovo zu schicken, wenn es KFOR nicht gelingen sollte, die von diesem Gebiet ausgehenden Angriffe zu unterbinden. Daraufhin haben KFOR-Einheiten in der Pufferzone das Dörfchen Dobrosin, das seit langem als Hochburg der UCPMB-Terroristen bekannt ist, abgeriegelt. KFOR hatte dort am Donnerstag mehr als zehn UCPMB-Mitglieder festgenommen sowie Waffen und Munition beschlagnahmt.