US-Senatoren blamierten Clinton
von Rainer Rupp
erschienen am 15.10.1999 in der Jungen Welt
Atom-Teststoppvertrag fand keine Mehrheit. US- Nukleardoktrin gerät ins Zwielicht
Bei der Abstimmung über die Annahme des kompletten nuklearen Teststoppvertrags am Mittwoch ist im US- Senat nicht die erforderliche Mehrheit zustande gekommen. Da Präsident Clinton dies befürchtet hatte, hatte er noch am Montag schriftlich gebeten, die Abstimmung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. In der amerikanischen Presse hatten unterdessen Befürworter des Abkommens die Hoffnung ausgedrückt, daß der republikanisch dominierte Senat sich dann weniger von Wahlkampfüberlegungen und Feindschaften gegen den »Skandalpräsident« leiten lassen würde und sich die Senatoren statt dessen auf die sicherheitspolitischen Vorteile besinnen würden, die dieses Abkommen für die USA beinhaltete.
Die Hoffnungen waren umsonst, und die Zurückweisung seiner präsidialen Autorität in Fragen der amerikanischen Sicherheitspolitik war eine schwere politische Schlappe, die Präsident Clinton bei seiner abendlichen Pressekonferenz auf dem Gesicht geschrieben stand.
Nach ersten Einschätzungen hat der US-Senat mit seiner Ablehnung das Kernstück der Atomwaffenkontrollstrategie der US-Regierung zerschlagen. Diplomaten und Experten warnten sofort vor dem sinkenden Einfluß der USA auf die weltweite nukleare Rüstungskontrolle mit ernsten und langlebigen Folgen. Dies dürfte mit Blick auf Südasien, insbesondere angesichts des Militärputsches in Pakistan, von höchst aktueller Bedeutung sein. In der Tat hat der Senat die Fähigkeit der Vereinigten Staaten nachhaltig untergraben, Indien und Pakistan von der Notwendigkeit der Unterzeichnung des Teststoppvertrags zu überzeugen.
Sogar prominente Gegner des Vertrags gestanden ein, daß die Auswirkungen der Vertragsablehnung erst einmal negativ sein werden. »Da wir so großen Wert auf diesen Vertrag gelegt haben, wirft seine Ablehnung ein schlechtes Licht auf unsere Führung«, zitiert die »Washington Post« vom 14. Oktober den Vertragsgegner Henry A. Kissinger.
Die Niederlage im Senat kam just zu einem Zeitpunkt, wo sowohl Indien als auch Pakistan bereit schienen, das Teststoppabkommen zu unterzeichen. Unter intensivem amerikanischen Druck hatte Indien verlauten lassen, es würde nach den Wahlen unterschreiben, die Anfang des Monates beendet worden waren. Und Pakistan, durch einen Militärcoup zerrüttet, hatte kundgetan, daß es unterzeichnen würde, wenn Indien es täte. In Rußland, wo Präsident Jelzin den Teststoppvertrag der Duma noch nicht zur Ratifizierung vorgelegt hat, wird dies jetzt auch in absehbarer Zeit nicht mehr geschehen. Da die Entscheidung des Senats die Intentionen der US- Nuklearpolitik zudem öffentlich ins Zwielicht rückt, ist auch nicht damit zu rechnen, daß die Duma das START- II-Abkommen zur Reduzierung der strategischen Offensivwaffen ratifiziert.
In Westeuropa sehen erste diplomatische Stellungnahmen in der Ablehnung des amerikanischen Senats die schwerwiegendste Rückentwicklung auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle seit Ende des Kalten Krieges. Die meisten Länder der Welt haben sich zwar dazu verpflichtet, keine Kernwaffen zu erwerben, wobei sich die fünf großen Atomstaaten im Gegenzug verpflichtet hatten, die Abrüstungsverhandlungen voranzutreiben mit dem Ziel einer endgültigen Eliminierung der Atomwaffen. Deshalb sahen die meisten nicht-nuklearen Länder das Teststoppabkommen als Lakmustest. Als 1995 die Clinton-Regierung vielen anderen Ländern die diplomatischen Arme verdrehte, um eine permanente Verlängerung des Nichtweiterverbreitungsvertrages für Kernwaffen durchzusetzen, hatte sie versprochen, sich für ein vollständiges Testverbot stark zu machen. »Indem nun der Vertrag durch den Senat zurückgewiesen wird, dürften sich viele dieser Länder hintergangen fühlen, die nur widerstrebend den Vertrag zu Nichtweiterverbreitung von A-Waffen unterzeichnet haben«, meinte Mittwoch nacht der ehemalige US-Atom-Unterhändler Thomas Graham auf CNN.
Allerdings wurde in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, daß die USA ohnehin das Atomteststopp-Abkommen unterlaufen wollten. Ihre unterirdischen Atomtests sollen durch Labortests, Computersimulationen und nichtnukleare Explosionen ersetzt werden. Durch eine Zusatzklausel zum Atomteststopp-Akommen (siehe junge Welt vom 13. Oktober) hätten die USA jederzeit aus dem Vertrag aussteigen können, wenn die Direktoren der Nuklearlaboratorien nicht in der Lage gewesen wären, die Einsatzfähigkeit und Sicherheit der Atomsprengköpfe zu zertifizieren.