Was machen Sie nach dem Knast?
von Rainer Rupp
erschienen am 29.07.2000 in der Jungen Welt
jW sprach mit dem am Donnerstag aus der Haft entlassenen NATO-Analytiker Rainer Rupp
F: Am Donnerstag sind Sie nach sieben Jahren aus der Haft entlassen worden. Glückwunsch. Sie waren als Kundschafter für die DDR in der NATO-Zentrale in Brüssel tätig, sind enttarnt und 1994 zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Die DDR ist Geschichte – hat sich denn Ihre Kundschaftertätigkeit gelohnt?
Gelohnt? Bei Lohn denkt man erst einmal an Geld – das ohnehin nicht. Ob es sich gelohnt hat, den Frieden zu erhalten, weiß ich letzten Endes nicht. Darüber müssen andere entscheiden und werden es wohl auch schon getan haben. Ob es sich in diesem Sinne gelohnt hat, wird sich letztlich erst zeigen, wenn alle Archive geöffnet worden sind.
Einige meinen, auch im Westen, ich hätte dazu beigetragen, den Frieden zu sichern. Andere meinen, daß im Falle eines Krieges meine Informationen kriegsentscheidend gewesen wären. Das hat man mir ja auch straferschwerend vorgehalten. Es ging mir aber nicht darum, kriegsentscheidende Informationen zu liefern, sondern Informationen, die einen Krieg verhindern. Ich müßte nun einmal mit den früheren Generalstäblern des Warschauer Paktes reden, was meine Arbeit gebracht hat.
F: Heißt das, Rainer Rupp wird jetzt erst einmal durch die osteuropäischen Hauptstädte reisen?
Ich habe bereits eine Einladung einer Medienanstalt in Moskau.
F: Sie haben während des sogenannten Kalten Krieges in der NATO gearbeitet. Im vergangenen Jahr hat die NATO erstmals als Militärbündnis direkt Krieg geführt. War schon während Ihrer Arbeit in Brüssel absehbar, daß die NATO tatsächlich nicht nur eine Papierorganisation ist, sondern sich so entwickelt, wie sie sich entwickelt hat?
Nein, zu jener Zeit war das nicht absehbar. Es hat eine Zeitlang gedauert, bis ich gesehen habe, daß die NATO zu dieser Zeit strukturell nicht angriffsfähig war. Das heißt nicht, daß nicht die Gefahr bestand, daß beide Seiten in einen Krieg abgleiten würden. Diese Gefahr bestand immer. Wenn ich sage: strukturell nicht angriffsfähig, dann heißt das, daß die USA in all ihrer Aggressivität nicht dazu fähig waren, in der NATO, in die die anderen europäischen Verbündeten integriert waren, langfristig auf einen Krieg zu planen und das auch durchzusetzen. Dafür hatten die Europäer viel zuviel Angst. Sie wirkten immer bremsend und mindernd auf amerikanische Aggressivitäten. In dem Sinn war die NATO strukturell nicht angriffsfähig: Die Hauptmitglieder in Europa schreckten zu sehr vor einem Konflikt zurück.
Das war allerdings nur so lange möglich, wie die Abschreckung auf der anderen Seite auch bestand. In dem Moment, da man nicht mehr dafür bezahlen muß und da die Gefahr wegfällt, sind Strukturen, die damals schon in der NATO deutlich waren, natürlich stärker zum Tragen gekommen und deutlicher hervorgetreten. Heute kann die NATO einen Krieg führen, für den sie nicht mehr bezahlen muß.
F: Als Kundschafter sind Sie »verbrannt«: Wie sehen Ihre Pläne für die Zeit nach dem Knast aus?
Da wird sich erst mal weiter nichts ändern. Ich bin nach wie vor Lektor beim Carl Dietz Verlag und werde auch weiter für die junge Welt Artikel schreiben. Und dann sehen wir mal … Ich möchte an dieser Stelle aber allen, allen ganz herzlich für ihre Solidarität danken, die sie meiner Familie und mir entgegengebracht haben.
In Briefen, die ich erhalten habe, klingt hin und wieder ein Märtyrerstatus durch. Doch ich bin kein Märtyrer. Und ich möchte auch betonen, daß die Leute, die mich verhaftet und verhört haben, zwar hart, aber fair waren. Das gilt auch für die die staatsanwaltschaftliche Strafverfolgung: hart, aber fair. Ich wurde nicht reingelegt. Die Menschen selbst haben da auch nur den ihnen aufgetragenen Job getan.
F: Nach bundesdeutschem Recht war Ihr Handeln strafbar. Waren Ihre Verurteilung und die Haftstrafe gerecht?
Es ist richtig, nach bundesdeutschem Recht war strafbar, was ich getan habe. Letztlich war es aber auch eine politische Frage. Im Zuge der Vereinigung hätte das eine ganz andere Wertigkeit haben müssen. Aber davor hatten sich die Politiker gedrückt.