Washington gerät unter Druck der EU
von Rainer Rupp
erschienen am 10.11.1999 in der Jungen Welt
US-Verstimmung über Plan zum Wiederaufbau der serbischen Donau-Brücken
Anfang des Monats hatte der Bosnien-Beauftragte der Bundesregierung, Hans Koschnick, das Ende der Sanktionen gegen Jugoslawien gefordert: »Die Sanktionen sollen aufgehoben und durch flexiblere Maßnahmen ersetzt werden«, erklärte er am 3. November. Unter den Sanktionen leide hauptsächlich die Zivilbevölkerung und die »in ihr verwurzelte Opposition«. Zur gleichen Zeit bekräftigte der US- Botschafter in Griechenland, Nicholas Burns, auf der Balkan-Konferenz in Saloniki, daß vor einem Rücktritt des jugoslawischen Präsidenten Milosevic an eine Lockerung der Sanktionen nicht zu denken sei. Tags darauf wurde diese mehr und mehr unhaltbare amerikanische Totalblockade von der US- Außenministerin Madeleine Albright bei einem Treffen mit serbischen Oppositionellen in Washington in bezug auf Öllieferungen etwas aufgeweicht. Sonst aber blieben die Amerikaner und ihre britischen Wasserträger gegenüber Serbien knallhart.
Trotzdem zeichnet sich nun in Europa unter dem Druck der Donau-Anrainerstaaten wenigstens teilweise ein Umdenken ab. Hintergrund eines möglichen Entgegenkommens der Europäischen Union ist, daß seit Monaten die Schiffahrtsunternehmen in den elf am Lauf der Donau liegenden Staaten darauf drängen, den für viele Länder lebenswichtigen, 2 900 Kilometer langen Transportweg wieder durchgängig schiffbar zu machen. Viele Transportunternehmen stehen vor dem wirtschaftlichen Ruin, denn die Trümmer der zerbombten Brücken versperren in Serbien die Fahrrinne. In Bulgarien, Rumänien und der Ukraine dümpeln Hunderte von Flußschiffen in den Häfen. Die Verluste werden bereits auf etwa 400 Millionen Mark geschätzt.
Das Wirtschaftsembargo, das die NATO und die ihr hörigen bürgerlichen Regierungen in anderen Ländern über Jugoslawien verhängt haben, umfaßt auch jegliche Hilfe für den Wiederaufbau und die Beseitigung der Bombenschäden. Selbst für die Räumung von Hindernissen aus der Schifffahrtsrinne der Donau sollte es nach dem Wunsch der Amerikaner keinen Pfennig geben. Trotzdem hatte vor einigen Wochen die Regierung Ungarns die serbische Regierung in Belgrad um Erlaubnis gebeten, Schwimmkräne schicken zu dürfen, um den jugoslawischen Teil der Donau wieder befahrbar zu machen. Aber Belgrad war nicht daran interessiert, für den ausschließlichen Profit anderer, ihm teilweise sogar noch feindlich gesinnter Länder, eine Passage durch den Fluß zu öffnen, ohne dafür eine Gegenleistung in Form von Hilfe für den Wiederaufbau der Brücken und für die vollkommene Beseitigung der Trümmer und der gefährlichen Blindgänger im Flußbett zu bekommen.
Deshalb nutzten die Regierungschefs der zentraleuropäischen Länder bei ihrem Treffen in Budapest am 20. Oktober die Gelegenheit, um – hauptsächlich mit Blick auf die EU und die NATO – dringend Maßnahmen zur Räumung des Flusses anzumahnen. Denn im bevorstehenden Winter könnte eine zusätzliche Katastrophe bevorstehen. Bei starken Kälteeinbrüchen befürchten Umweltexperten, daß sich auf dem Fluß vor den zerbombten Brücken Packeis zu riesigen Staudämmen aus Eisschollen auftürmt, was weite Gebiete in den benachbarten Ländern Kroatien und Ungarn unter Wasser setzen würde. »Wir haben hier alle Zutaten für eine richtige Krise, und die Schuld dafür könnte uns angelastet werden«, meinte am Rande des zentraleuropäischen Treffens in Ungarn ein namentlich nicht genannter Diplomat aus einem NATO-Land. Und die »International Herald Tribune« berichtete von Stimmen am Rande der Konferenz, die der Hoffnung Ausdruck gaben, daß wenigstens einige europäische Länder das Wirtschaftsembargo gegen Jugoslawien bald brechen würden.
Gegen starken britischen und amerikanischen Widerstand unterstützen Frankreich und Deutschland seit kurzem einen Plan der Europäischen Union in Brüssel, Jugoslawien bei der Räumung der von der NATO zerstörten Brücken über die Donau zu helfen und eine neue, provisorische Brücke zu bauen. Dafür will die EU angeblich knapp 50 Millionen Mark zur Verfügung stellen. Sollte dieser Plan in die Tat umgesetzt werden, so sind die nächsten Reibungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten bereits vorprogrammiert, denn die USA würden darin einen Verstoß gegen das Embargo sehen. Zur Durchführung des EU-Planes ist die Unterstützung der USA jedoch besonders wichtig, denn nur die Amerikaner sind in der Lage zu sagen, ob, wo und wie viele nicht explodierte Bomben auf dem Donaugrund in der Nähe der Brücken liegen.