Weißrussland im Griff einer Farbenrevolution?
von Rainer Rupp
erschienen am 14.August 2020 via KenFM
In den letzten Tagen ist Belarus zum Schauplatz eines neuen Regimewechsels auf dem Territorium der ehemaligen UdSSR geworden. Versucht hier ein Volk, sich eines Tyrannen zu entledigen? Oder wird hier von mächtigen Kräften im Westen ein weiter „Maidan“ angerührt, bei dem, wie 2014 in der Ukraine, nationalistische Extremisten und Faschisten mit aktiver Unterstützung westlicher Regierungen, vor allem in Washington und Berlin, in einem blutigen Putsch den rechtmäßig gewählten Präsidenten verjagt und bis heute de facto die Macht im Land halten.
Vieles spricht in der Tat dafür, dass es bei den Unruhen in der weißrussischen Hauptstadt Minsk nicht vorrangig um Menschenrechte und Meinungsfreiheit geht, wofür die meist jugendlichen Demonstranten auf die Straßen gehen. Tatsächlich scheint es den eigentlichen Strippenziehern im Westen um den Gewinn eines weiteren geopolitischen und geostrategischen Vorteils gegen Russland zu gehen, wofür sie die jungen Demonstranten, die zu zehntausenden mobilisiert wurden, bei den Unruhen als nützliche Idioten verheizen.
Weißrussland ist nämlich ein osteuropäischer Staat und hat gemeinsame Grenzen mit Polen, der Ukraine, Litauen, Lettland und eine besonders lange Grenze mit Russland. Vom russisch-weißrussischen Grenzübergang bei Buda sind es über die E30 Autobahn nur noch 465 Km bis nach Moskau. Das weißrussische Militär, vor allem die Flugabwehr gegen die NATO ist fest mit der russischen Verteidigung integriert. Allein das macht einen erfolgreichen Umsturz in Minsk in den Augen der westlichen Kriegstreiber besonders attraktiv.
Bereits bei den vergangen Präsidentschaftswahlen hatte es jedes Mal entsprechende Versuche gegeben, eine Farbenrevolution in Gang zu bringen, aber in der Vergangenheit hatte der Funken nicht gezündet, denn die Weißrussen hatten die abschreckenden Beispiele aus der Ukraine vor Augen, zuerst die Folgen der so genannten „Orange-Revolution“ und dann des Maidan. Außerdem ging es dem Gros der Weißrussen auch in den kleinen Dörfern den Umständen entsprechend gut. Die jahrelangen erbärmlichen Zustände, welche die Russen in den Jahren der Herrschaft des vom Westen so geliebten GROSSEN Demokraten Boris Jelzin zumindest durch vegetieren mussten, blieben den Weißrussen unter ihrem Präsidenten Lukaschenko erspart.
Von 2008 bis 2013 bereiste der Autor dieser Zeilen mehrere Male Weißrussland kreuz und quer. Es herrschte kein Überfluss, aber auch kein Hunger, alle hatten Arbeit oder konnten studieren und alle hatten ein Dach überm Kopf. Selbst die kleinsten Dörfer bestachen durch Schönheit, Sauberkeit und Ordnung. Allerdings gab es auch damals schon Unmut und Unzufriedenheit. Die Menschen sehnten sich jedoch kaum nach dem goldenen Westen. Mir wurde öfters erzählt, wenn Putin auch in Weißrussland bei der Präsidentschaftswahl antreten könnte, dann hätte Lukaschenko keine Chance mehr. Leben wie in Russland war das Vorbild und nicht der Westen. Nur an den Universitäten gab es immer wieder junge Leute, die sich vom Westen die Erfüllung all ihrer unerfüllbaren Wünsche versprachen.
Seither ist viel Zeit ins Land gegangen. Selbst Medien, die Weißrussland freundlich gesinnt sind, berichten von einer allgemeinen und weit verbreiteten Unzufriedenheit eines Teils der Bevölkerung, wegen Inkompetenz und oder Korruption. Auch seien die politischen Eliten – vertreten durch den seit sechs Wahlperioden amtierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko – und die staatlichen Institutionen und Abläufe stark verkrustet.
Lukaschenko ist ehemaliger kollektiver Betriebsdirektor und hat nie eine Wirtschaftsreform zugelassen. Nahezu alle Vermögenswerte des Landes befinden sich im Staatsbesitz. Das Land ist eine Zeitkapsel aus Zeiten der Sowjetunion von vor 30 Jahren. Lukaschenkos Widerstand gegen die Privatisierung beruht weitgehend auf dem Wunsch, russischen Oligarchen den Zugriff auf die Industrie und Landwirtschaft des Landes zu versperren. Belarus ist allerdings der vom Kreml ins Leben gerufenen Europäisch-Asiatischen Wirtschaftsunion beigetreten und zudem weitgehend in die russische Wirtschaft integriert.
Das Land ist besonders stark von russischer Energie abhängig, da Belarus über keine eigenen Kohlenwasserstoffressourcen verfügt. Bei der Zusammenarbeit der zentral geplanten Volkswirtschaft Weißrusslands mit der gesteuerten Marktwirtschaft Russlands kommt es natürlich immer wieder zu Ineffizienzen, was auch in der Bevölkerung für Unmut sorgt. Aber inmitten der Corona-Angst, die auch die weißrussische Bevölkerung ergriffen hat, zeigt sich, dass trotz allen Ärgers über den regierenden Lukaschenko, die Mehrheit der Bevölkerung nicht mitten in der Wirtschafts- und Gesundheitskrise auch noch die Regierung auswechseln wollte.
Dennoch befindet sich Weißrussland mitten in einem groß angelegten Versuch, mit Hilfe einer Farbenrevolution den Regimewechsel in Minsk durchzusetzen und das Land auf einen ungewollten Westkurs zu zwingen.
Für alle, die mit dem Begriff „Farbrevolution“ nicht viel anfangen können sei gesagt, dass es sich dabei um eine auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Psychologie beruhende, standardisierte Technik handelt, um in einem für den Umsturz vorgesehen Staat unzufriedene gesellschaftliche Gruppen mit ansprechenden Themen und Versprechungen von westlichem Konsum und grenzenloser Freiheit zu gewinnen. Zudem die Menschen bis zur rabiaten Gewaltanwendung gegen die Ordnungskräfte der jeweiligen Diktatur zu radikalisieren, das gesellschaftliche und politische Chaos im Zielland auf die Spitze zu treiben und letztlich den pro-westlichen „Regimewechsel“ durchsetzen.
Diesen Umsturztechniken zugrunde liegen die Werke des 1929 geborenen US-Sozialwissenschaftlers Prof. Dr. Gene Sharp, der in seinen jungen Jahren als Anti-Militarist wegen Wehrdienstverweigerung zwei Jahre im US-Militärgefängnis saß und damals sogar von Albert Einstein unterstützt wurde. In seinen Studien entwickelte er, unter anderem unter Berufung auf die Erfolge von Mahatma Ghandis friedlicher Revolution zur Befreiung Indiens vom Joch des britischen Kolonialismus, etliche Bücher über Umstürze durch gewaltlosen Widerstand. Die Krönung seiner Arbeit bestand jedoch in dem 1993 veröffentlichten Buch „From dictatorship to democracy: A conceptual framework for liberation“, das in deutscher Übersetzung folgenden Titel trägt: „Von der Diktatur zur Demokratie: Ein Leitfaden für die Befreiung.”
Dieses letzte Werk und die Anwendung der darin enthaltenen Anweisungen unterscheidet sich gewaltig von seinen früheren, noch von linkem Pazifismus und Idealismus geprägten Denken. Denn in der Zwischenzeit hatten die professionellen „Regimechange Agenturen“ der US-Oligarchie in Washington und ihre zuarbeitenden Vasallen in der selbsterklärten „westlichen Wertegesellschaft“ sich längst die Techniken von Gene Sharp angeeignet und mit den modernsten Erkenntnissen der Konsum-, Marketing- und Massenpsychologie angereichert.
Dabei aber sorgfältig darauf geachtet, dass der populäre linke Flair von der Befreiung der Massen von der parasitischen Diktatur erhalten blieb, denn die darin enthaltenen progressiven, gesellschaftlichen Versprechen garantierten den Zugang zu den Köpfen der jungen Generation, egal welcher Staat gerade auf der Abschussliste der Strippenzieher in Washington stand.
Die Verantwortung zur Vorbereitung der Umstürze lag stets bei den US-Regierungsbehörden, wie dem Außenministerium oder dem Geheimdienst CIA, die dann – kombiniert mit privater Finanzierung und unter vorgeblicher Federführung von „humanitären“ NGOs, also Nichtregierungsorganisationen mit der Mobilisierung der Zielgruppen und der Destabilisierung des Zielstaates die anvisierte „Farbrevolution“ begannen. Der zigfache Multimilliardär, Börsenspekulant und angebliche humanitäre Wohltäter George Soros und dessen „Open Society“ NGO sind dafür ein weit bekanntes Beispiel.
Heute geht es darum, die unzufriedenen jungen Leute nicht mit zu viel politischer Theorie zu verwirren oder zu langweilen, sondern die angehenden Revolutionäre mit Popkultur zu motivieren, indem sie eingängige, inhaltsfreie Slogans, Logos und Teamfarben verwenden.
Die bekannteste US-Organisation dieser Art ist das „National Endowment for Democracy“ (NED), eine merkwürdige Einrichtung, die von der US-Regierung über die als „humanitäre Hilfsorganisation“ firmierende USAID, sowie durch Spenden von großen privaten Stiftungen neoliberaler Eliten kofinanziert wird. Die NED hat zwei Unterorganisationen, die die Mittel an verschiedene Regime Change-Projekte verteilen: eines ist das „International Republican Institute“, das der Republikanischen Partei angeschlossen ist und das andere ist das „National Democratic Institute for International Affairs“, welches bei der Demokratischen Partei angebunden ist.
Beide Organisationen führen mit leichten Abweichungen in den Nuancen die gleiche Tätigkeit durch. Denn Demokraten und Republikaner sind lediglich die rechte oder linke Hand der Einheitspartei des US-Großkapitals, weshalb es in den USA in Bezug auf Außenpolitik viel mehr Überparteilichkeit gibt, als man sich hier in Europa gemeinhin vorstellt.
In den letzten Wochen vor der Präsidentschaftswahl in Weißrussland am 9. August und den anschließenden Tagen ist es immer deutlicher geworden, dass das weißrussische Territorium der ehemaligen UdSSR erneut zum Schauplatz eines Regimewechsel Versuchs geworden ist. Diesmal allerdings war die direkte Einmischung des westlichen Un-Wertewesten – von Washington über Berlin bis zur EU in Brüssel – in die Wahl des souveränen Staates Weißrussland viel intensiver und stärker durchorganisiert als bei allen ähnlichen Versuchen im Land über die letzten zwanzig Jahre.
Bereits in den Monaten vor der Wahl hatten die Aktivitäten der vom Westen geförderten, so genannten „Oppositionskräfte“ dramatisch zugenommen. In einer breit angelegte Kampagne hatten diese fake „Oppositionskräfte“ die internationalen und lokalen Medien dazu ausgenutzt, um die im Land bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme sowie die allgemeine Unzufriedenheit eines Teils der Bevölkerung hochzuspielen und Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen. .
Trotz dieses riesigen Aufwands zeigten die Ergebnisse der Wahl einen Sieg Lukaschenkos mit 80 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die Oppositionskandidatin und Westmarionette Swetlana Tichanowskaja erhielt nur etwa 10 Prozent der Stimmen. Über 4% der Wähler machten ihr Kreuz in der Option „Gegen alle Kandidaten„. Die Wahlbeteiligung lag bei 84,23 %.
Die tatsächlichen Wahlergebnisse spielten jedoch für die so genannte Opposition keine Rolle. Diese folgt nämlich eins zu eins dem Drehbuch der erfolgreichen Farbenrevolutionen. Deshalb hatte sie schon Wochen vor Beginn der Wahl bequemer Weise erklärt, dass ein Sieg Lukaschenkos nur bedeuten könne, dass die Wahlergebnisse gefälscht worden sind. Die westlichen Medien brauchen Ihre Verdächtigungen nur über mehrere Tage 24 Stunden lang zu wiederholen, und schon weiß und glaubt jedes Kind, dass Lukaschenko ein Wahlfälscher ist.
Rationale Argumente, die gegen ein solchen Szenario sprechen, haben in diesem Narrativ keinen Platz. Auch nicht die Tatsache, dass eine künstliche Erhöhung der Stimmen für Lukaschenko um 15 bis 20 Prozent eine massive Massenfälschung während des Wahlprozesses vorausgesetzt hätte. Die Fälschung hätte unter den Augen von vielen Beobachtern unterschiedlicher politischer Zugehörigkeit stattfinden müssen, was kaum unbemerkt hätte bleiben können.
Aber außer der Behauptung der Wahlfälschung haben die so genannten Oppositionellen und ihre finanziellen Förderer keinen Beweis oder Zeugen aus den Wahllokalen vorgezeigt. Beweise spielen hier auch keine Rolle. Behauptungen genügen. Und selbst wenn wir annehmen würden, dass die pro westliche Opposition in Weißrussland 20 Prozent der Stimmen bekommen hätte, wäre das Ergebnis für sie immer noch ein riesengroßer Misserfolg gewesen, denn Lukaschenko hätte immer noch mit 60% gewonnen.
Dennoch zeigt die Geschichte verschiedener Staatsstreiche rund um die Welt, dass eine konsolidierte und gut koordinierte aggressive Minderheit die Macht im Staat ergreifen kann. Eine solche Situation ereignete sich während des sogenannten „Maidan“-Putsches in der Ukraine im Jahr 2014, als eine aggressive Gruppe radikaler Nationalisten, die von ausländischen Kräften unterstützt wurden, die kopflose Untätigkeit der Janukowitsch-Regierung ausnutzte. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung unterstützte den Putsch und die weitere Gewalt, die sich in der gesamten Ukraine ausdehnte, nicht. Dennoch wurde die schweigende Mehrheit zum Opfer der aggressiven und lautstarken Minderheit.
Bereits Monate vor den Wahlen in Weißrussland war mit westlicher Hilfe ein Netzwerk von Konten in so genannten „Sozialen Medien“ aufgebaut worden, wobei die Betreiber der Seiten in Staaten außerhalb Weißrusslands registriert waren, wie z.B. in Polen und in den baltischen Staaten. Sie alle versuchten mit Unterstützung der Mainstream-Medien, das Bild des totalen Zusammenbruchs der Regierung in Minsk zu zeichnen. Weiter verbreiteten sie z.B. Anweisungen für Randalierer, persönliche Daten von Polizeibeamten und die Fake News über Lukaschenko, wonach der angeblich aus Weißrussland geflohen sei.
Ein besonderes Thema, das von diesen Medien behandelt wird, ist der Einsatz von Gewalt gegen die angeblich friedlichen Demonstranten. Wieso werden radikale Protestler in Westmedien und in den sozialen Medien als friedliche Demonstranten dargestellt werden, obwohl sie Polizisten provozieren und mit Knüppeln, Pflastersteinen und Holzstangen brutal angreifen und einige von ihnen sogar unter Inkaufnahme von tödlichen Verletzungen mit ihren Privatautos gezielt über den Haufen fahren?
Die pro-Putsch Medien in Minsk und im Westen sind jedoch mit ihren Forderungen nach einem landesweiten Streik ab dem 11. August voll auf die Nase gefallen.
Derweil haben die weißrussischen Strafverfolgungsbehörden laut lokaler Quellen und Beweisen vom Ort bei den Zusammenstößen mit den Farbenrevolutionären hohe Motivation und entschlossenes Handeln gezeigt, um die Ausbreitung des Chaos zu stoppen. Und Präsident Lukaschenko hat, ungeachtet der Kritik an seinen wirtschaftlichen oder politischen Strategien, offenbar die Lehren aus der Geschichte gezogen und hat entschieden alles getan, um den Putsch zu verhindern.
Wie nicht anders zu erwarten hat das US-Regime in Washington und die Europäische Union in Brüssel die Wahlen in Belarus bereits als „unfair“ und „nicht unabhängig“ verurteilt. Als weiteres Zeichen für den misslungenen Putsch kann gewertet werden, dass am 11. August die wichtigste weißrussische Oppositionskandidatin, Tianowskaja, und mehrere führende Mitglieder ihrer Kampagne über die Grenze nach Litauen abgehauen ist, von wo sie immer noch lauthals Erklärungen abgeben, in denen sie die „Revolution“ fordern.
Auch der prowestliche, neoliberale Teil der so genannten Opposition in Russland hatte vor wenigen Tagen vor der belarussischen Botschaft in Moskau eine Kundgebung zur Unterstützung des Putschversuchs in Weißrussland abgehalten.
Besonders interessant ist, dass noch vor wenigen Wochen Präsident Lukaschenko öffentlich mit Washington & Co mit antirussischen Äußerungen und Importen von US-Flüssiggas geflirtet hatte. Das hat er höchstwahrscheinlich getan, um in den Verhandlungen über russische Energielieferungen bessere Preise herauszuschlagen. Mit dem Beginn der Präsidentschaftswahl haben die westlichen Länder ihren neuen Freund Lukaschenko sofort verraten und den anhaltenden Putschversuch unterstützt. Dies hat einmal mehr gezeigt, dass Vereinbarungen mit dem Washingtoner Establishment und den europäischen Bürokraten keinen Pfifferling wert sind.
Nachfolgend findet der geneigte Leser zwei Links zu Artikeln mit gegensätzlicher Sicht auf die aktuelle Lage in Weißrussland. In dem ersten mit dem Titel „Pantoffelrevolution: Regime Change in Weißrussland hat begonnen“ geht Wladislaw Sankin der Frage nach ob es sich um ein musterhaftes Beispiel einer Demokratie-Bewegung oder um eine Farbrevolution nach klassischem Drehbuch handelt. In dem zweiten Artikel „Proteste in Weißrussland: Neue Größenordnung der Repression“ kommt die Weißrussland-Expertin der George Soros nahen „Forschungsstelle Osteuropa“ der Universität Bremen, Olga Dryndova, zu Wort und macht deutlich, wie eine typische Farbenrevolution-Propagandistin argumentiert.