Will die EU kein Gas mehr aus Aserbaidschan?
von Rainer Rupp
erschienen am 28. Juli 2024 auf RT
Die Regierung in Baku beschuldigt die EU, bei ihr Land lediglich zum Stopfen von Lücken bei der Gasversorgung ausgenutzt zu haben, denn Brüssel weigert sich, langfristige Verträge abzuschließen.
Die Flitterwochen zwischen der orientalischen Gasprinzessin Aserbaidschan und dem scheinheiligen deutschen Klimahelden waren nur von kurzer Dauer. Die Gasprinzessin denkt schon über die Trennung nach, denn der Klimaheld aus dem Norden will ihren innigsten Wunsch nicht erfüllen, nämlich ihr eine bindende Zusage zu einer langfristigen und verlässlichen Partnerschaft zu geben.
Anlässlich des Gipfeltreffens des EU-Rats im Juli 2024 in Brüssel hatte Bundeskanzler Olaf Scholz auch noch ein bilaterales Gespräch mit dem Präsidenten von Aserbaidschan Ilcham Alijew gehabt, den er für die anwesenden Kameraleute herzlich begrüßt hatte. Aber im Anschluss hinter den Kulissen muss es Zoff gegeben haben. Wie sonst lässt sich erklären, dass Aserbaidschans EU-Botschafter zwei Wochen später, am 22. Juli, der EU öffentlich vorgeworfen hat, sein Land lediglich für kurzfristige Gaslieferungen ausgenutzt zu haben?
Praktisch seit der Unabhängigkeit der ehemaligen Sowjetrepublik Aserbaidschan im Jahr 1991 waren die Beziehungen des Landes zu den EU-Institutionen und -Mitgliedsländern nicht gerade von gegenseitiger Zuneigung geprägt gewesen. Das änderte sich schlagartig mit dem Beginn der russischen militärischen Sonderoperation in der Ukraine am 24. Februar 2022.
Europäische Politiker hatten seit der Unabhängigkeit immer wieder kritische und harte Kommentare gegen die politische Führung Aserbaidschans abgegeben, der sie eine autokratische Herrschaft vorgeworfen hatten, insbesondere im Zusammenhang mit angeblichen Menschenrechtsbedenken und mit Blick auf das gespannte Verhältnis des Landes zum armenischen Nachbarn, die seither über die von beiden Seiten beanspruchte südkaukasische Region Bergkarabach verschiedene Kriege geführt haben. So hatte sich z. B. die französische Europaabgeordnete Nathalie Loiseau eindeutig für Armenien eingesetzt und von der EU und Frankreich gefordert, das Land gegen Aserbaidschan zu unterstützen.
Der deutsche Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe bezweifelte sogar die Legitimität der aserbaidschanischen Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarates aufgrund von Bedenken bezüglich Demokratie und Menschenrechten in Aserbaidschan. Schwabe betont vor allem die Wichtigkeit dieser Werte, die nicht zugunsten von Handelsbeziehungen kompromittiert werden dürften. Diese und ähnliche politische Interventionen aus EU-Ländern bestimmten das Verhältnis bis zum 24. Februar 2022.
Die EU-Menschenrechtsbedenken in Bezug auf Aserbaidschan hatten sich hauptsächlich auf Themen wie die Unterdrückung der Meinungsfreiheit, die Verhaftung von Journalisten, Menschenrechtsverteidigern und Aktivisten und die Unterdrückung friedlicher Proteste bezogen.
Angesichts der Unterdrückung der Meinungsfreiheit, der Verhaftung von Journalisten, Menschenrechtsverteidigern und Aktivisten sowie angesichts der Unterdrückung und Kriminalisierung friedlicher Proteste in den EU-Ländern, insbesondere auch in Deutschland, kommt einem das wie ein schlechter Witz vor. Das ist es leider nicht, aber dafür ein Beweis für die hierzulande herrschende eklatante Doppelmoral.
Als sich die EU nach dem der russischen Spezialoperation in der Ukraine schnell unabhängiger von russischem Gas machen wollte, war das an Öl und Gas reiche Aserbaidschan über Nacht eine äußerst begehrte Braut. Die alten Menschenrechtsprobleme und Demokratiemängel waren angesichts der stattlichen Mitgift der Braut plötzlich vergessen. Die ranghöchsten Autoritäten machten sich auf und pilgerten nach Baku, in die Hauptstadt der Gasprinzessin, um die Braut mit blühenden Versprechen zu umwerben.
Bereits im Februar 2022 besuchte Kadri Simson, die EU-Energiekommissarin, Baku. Ihre Reise zielte darauf ab, die strategische Partnerschaft im Energiebereich zu stärken und die Verhandlungen über langfristige Gaslieferverträge zu fördern. Simson betonte die Notwendigkeit einer stabilen und diversifizierten Energieversorgung für Europa.
Im März 2022 traf der Präsident des Europäischen Rates Charles Michel in Baku ein, wo er die strategische Bedeutung Aserbaidschans für die europäische Energieversorgung betonte und die Notwendigkeit unterstrich, die Zusammenarbeit im Bereich Energieinfrastruktur zu intensivieren.
Auch die unvermeidliche deutsche Außenministerin Annalena Baerbock reiste im Mai 2022 nach Aserbaidschan, um die bilaterale Energiepartnerschaft zwischen Deutschland und Aserbaidschan zu stärken.
Die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen besuchte Aserbaidschan im Juli 2022. Ihr Besuch betonte die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen der EU und Aserbaidschan im Energiesektor. Während ihres Aufenthalts unterzeichnete sie eine Absichtserklärung zur Verdopplung der Gaslieferungen aus Aserbaidschan bis 2027.
Im September 2022 machte sich Roberta Metsola, Präsidentin des Europäischen Parlaments, nach Baku auf. Ihr Besuch unterstrich die Bedeutung einer verstärkten Zusammenarbeit im Energiesektor und die Unterstützung des Europäischen Parlaments für Projekte, die die Energieunabhängigkeit der EU fördern.
Laut EU-Daten exportierte Aserbaidschan im Jahr 2023 über den sogenannten südlichen Korridor zwölf Milliarden Kubikmeter Erdgas in die EU, eine Steigerung von 45 Prozent im Vergleich zu 2021.
Aber aktuell, kaum mehr als zwei Jahre später, scheint die einst heiß begehrte Braut ihre Attraktivität für die EU verloren zu haben. Und die der Braut gemachten Versprechen und Absichtserklärungen sind Absichtserklärungen geblieben. Denn die EU, die von Klima-Junkies dominiert wird, weil dort das wirklich große Geld zu machen ist, lässt sich nur auf kurzfristige Gasverträge mit Aserbaidschan ein. “Wir können nicht einfach nur Feuerlöscher spielen und immer nur mit Drei- bis Sechsmonatsverträgen Gas liefern”, zitierte diese Woche die Financial Times Aserbaidschans Botschafter bei der EU Wagif Sadigow. “Wir brauchen langfristige Verträge, damit wir uns an die Banken wenden können, um die Finanzierung für die Bohrungen tief im Kaspischen Meer zu erhalten.”
Genau darauf hatte sich EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen bei ihrem bereits erwähnten Besuch in Baku mit Präsident Alijew vor zwei Jahren geeinigt. 20 Milliarden Kubikmeter Erdgas sollen demnach bis zum Jahr 2027 jährlich nach Europa fließen, doppelt so viel wie im Jahr 2022.
Um dieses Lieferziel von 20 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr zu erreichen, müssten außerdem Pipelines im südlichen Korridor zwischen Aserbaidschan und Europa erweitert werden. Dass die EU bei den dafür nötigen Investitionen direkt helfen kann, gilt als sehr unwahrscheinlich, denn seit 2021 darf die Europäische Investitionsbank dank der Klimaschutz-Gewinnler und Lobbyisten nicht mehr in fossile Infrastrukturprojekte investieren. Denn die EU will keine langfristigen Verträge wegen der Klimaneutralität.
Aserbaidschan fühlt sich zu Recht hintergangen, denn ohne die Sicherheit langfristiger Verträge gibt es nicht die nötigen Finanzmittel. Ohne die kann Aserbaidschan weder die Gasproduktion im Kaspischen Meer steigern noch mehr Gas über nicht existierende Pipelines exportieren, um den zu erwartenden zusätzlichen Bedarf der EU zu decken. Inzwischen hat sich Aserbaidschan ebenso wie die Nachbarländer Iran und Türkei entschlossen, sich um die Mitgliedschaft bei den BRICS zu bewerben.
Aber wahrscheinlich haben die EU und auch die deutsche Ampelregierung denselben Plan B, um das geringere Gasangebot trotzdem mit der Gasnachfrage in Einklang zu bringen. Denn bei fortschreitender Deindustrialisierung wird sich das Problem in Deutschland und Europa von allein lösen.