Zensur statt Kultur – Dr. Lederer als Krisensymptom der Linken
von Rainer Rupp
erschienen am 12. Dezember 2017 via RT deutsch und KenFM
Der größte Lump im ganzen Land ist und bleibt der Denunziant. Ein linker Kultursenator bekämpft eigene Gesinnungsgenossen vehementer als den politischen Gegner. Und er ist nicht der Einzige. Was ist eigentlich in der Linkspartei los? Dieser Frage geht Rainer Rupp auf den Grund. Anlass ist das gescheiterte Auftrittsverbot für den Journalisten Ken Jebsen im Berliner Kino Babylon.
Meinung von Rainer Rupp.
Mit der Frage nach dem Geisteszustand, „Sind die Linken im Parteivorstand verrückt geworden?“, traf der engagierte Antimilitarist, vielfach preisgekrönte Schriftsteller und Journalist Dr. Wolfgang Bittner den Nagel auf den Kopf. Auf diese Weise reagierte der promovierte Jurist Bittner am 7. Dezember auf einen Mehrheitsbeschluss des Parteivorstands. Der Beschluss sollte den linken Berliner Kultur-Senators Dr. Klaus Lederer unterstützten, der die Verleihung des von der linken Neuen Rheinischen Zeitung (NRhZ) ausgelobten Karlspreises an den bundesweit bekannten Journalisten Ken Jebsen mit bösartigen Verleumdungen zu hintertreiben versucht hatte.
Als Gebieter über den Kulturetat der deutschen Hauptstadt hatte der linke Zensur-Senator den Betreiber des einzigen städtischen Berliner Kinos – „Babylon“ – genötigt, den Mietvertrag für eine Preisverleihung an Jebsen am 14. Dezember 2017 zu kündigen. Zur Begründung führte Genosse Lederer das Argument an, dass die Veranstaltung nichts Anderes sei als ein „Jahrmarkt der Verschwörungsgläubigen und Aluhüte“. Zudem würde es dort von „Querfront“-Anhängern nur so wimmeln.
Die „Querfront“ unter jedem Gullydeckel
Vergiftete Worthülsen wie „Querfront“, die je nach Gefühl alles und nicht aussagen, sind natürlich ganz tolle justiziable Rechtfertigungen zur Aufkündigung eines rechtsgültig abgeschlossenen Mietvertrags. Wahrscheinlich sind deshalb auch Lederer Zweifel gekommen. Daher hat er mit der noch immer garantiert wirkenden Antisemitismuskeule nachgelegt. Jebsen – so heißt es in seiner Facebook-Nachricht weiter – sei in der Vergangenheit durch „offenen, abgründigen Israelhass“ sowie durch die „Verbreitung typisch antisemitischer Denkmuster in Erscheinung getreten“. Tatsächlich kündigte der Betreiber des Kinos daraufhin den Mietvertrag mit der NRhZ, woraufhin diese prompt einen gerichtlichen Beschluss zu ihren Gunsten erwirkte.
Damit hat Lederer mit seinem Zensur-Versuch vor einem Berliner Amtsgericht eine Schlappe auf ganzer Linie erlitten. Die Preisverleihung wird am Donnerstag, dem 14. Dezember, wie vorgesehen im Babylon stattfinden. Das Gericht sah weder den vom Senator ausgeübten Druck noch die vom Babylon-Betreiber vorgebrachten anderen Argumente als hinreichende Begründung für den Vertragsbruch.
Dabei hätte der promivierte Jurist Lederer es besser wissen müssen – und auch, dass Artikel 5 des Grundgesetzes das Recht eines jeden garantiert, „seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“. War dem Genossen Lederer bereits die Arroganz der Macht zu Kopf gestiegen? Hatte er gar womöglich geglaubt, dass seine denunziatorischen Schlagworte automatisch in Berlin blindes Gehör finden würden?
Vielleicht aber ist Genosse Lederer trotz seines Doktortitels der Jurisprudenz dümmer als man glaubt. Dafür spricht unter anderen seine Rechtfertigungsrundmail, die er als Antwort auf die vielen Proteste gegen seinen Zensurversuch in die politische Landschaft geschickt hatte. Für den Kolumnisten Ulrich Gellermann besteht das „Glanzstück“ dieser Mail aus nachfolgender Passage:
‚Verboten‘, wie immer wieder kolportiert wurde, habe ich die Veranstaltung nicht und könnte ich auch nicht. […] (Aber) wer erhebliche öffentliche Mittel erhält, trägt eine besondere Verantwortung dafür, was in seinen Räumen stattfindet und wer dort eine Plattform erhält.
Unverhohlene Erpressung als kritische Äußerung
Mit dieser Warnung wollte der Herr Senator auch dem Dümmsten klarmachen, welcher Wind durch die Flure der Berliner Verwaltung weht. Aus dem Beamtendeutsch übersetzt heißt das: „Wer Geld aus Lederers Haus erhält, der soll sich gefälligst auch an Lederers Meinung halten“, so Gellermann.
Auch Andrej Hunko, MdB der Linken, übte scharfe Kritik an den Versuch Lederers, sein Fehlverhalten in der Rundmail zu bagatellisieren. In einer persönlichen Erklärung schreibt Hunko:
Es ist ein Unterschied, ob ich eine Preisverleihung an einen Journalisten gut finde oder nicht. Es ist etwas Anderes, ob ich mich dagegen öffentlich äußere oder sogar friedlich demonstriere. Es ist wiederum etwas Anderes, ob ich sie physisch verhindern will. Und es ist etwas Anderes, ob ich als Inhaber eines öffentlichen Amtes Druck auf eine von öffentlicher Finanzierung abhängige Einrichtung ausübe, um die Veranstaltung zu verhindern.
Letzteres als „kritische Äußerung“ zu bagatellisieren, wie es Lederer in seiner Mail getan habe, sei ein Versuch, „genau diese Unterschiede zu verwischen“.
Auch wenn manche Ken Jebsens Art des Auftretens nicht lieben, so wird ihm niemand, der vorbehaltlos seine Arbeit für die antimilitaristische und friedenserhaltende Aufklärung bewertet, umhinkommen, ihm zumindest großen Respekt zu zollen. Erst recht ist Jebsen – jedenfalls nach europäischen Maßstäben – kein Rassist oder Antisemit.
Das ist eine absurde und längst von Gerichten widerlegte Beschuldigung. Dennoch wird diese Beschuldigung von sich als „links“ bezeichnenden Eiferern immer wieder, in der Regel anonym, gegen Jebsen eingesetzt. Dabei gehört der zu den wenigen unbeugsamen Journalisten, die sich mutig der Kriegspropaganda entgegenstellen, die tagtäglich in den Konzern- und Regierungsmedien Verbreitung findet.
Koalitionsfähigkeit um jeden Preis
Was aber macht Ken Jebsen so besonders gefährlich für das linke Establishment und dessen Anhang? Wahrscheinlich ist es die ungewöhnlich große und ständig wachsende Zahl seiner Leser, Zuhörer und Zuschauer, die in die Hunderttausende geht. Damit aber wird auch das Definitionsmonopol der Parteiführung über linke Friedens-, Sozial- und Wirtschaftspolitik in Frage gestellt. Dies wiederum erschwert die Verwirklichung der Pläne der Parteiführung, die mit ihren angepassten Vorstellungen perspektivisch auf eine Regierungskoalition mit SPD und Grünen ausgerichtet ist. Eine solche aber würde die Aufgabe linker Grundpositionen voraussetzen, wie zum Beispiel die Ablehnung jeglicher Auslandseinsätze der Bundeswehr.
Bei möglichen Neuwahlen zum Bundestag könnte sich bereits im Frühjahr 2018 eine Chance auf eine rot-rot-grüne Koalition ergeben. Daher ist es für die Linken-Führung wichtig, die in der Partei und in der Bevölkerung noch vorhandenen Widerstände gegen diese Pläne zu schwächen und sich zugleich von allen linken Bewegungen, die gegen NATO, gegen die EU-Militarisierung und gegen die neoliberale Globalisierung sind, entschieden zu distanzieren. Aber das allein genügt nicht, um bei der SPD und bei den Grünen als Koalitionär auf Bundesebene glaubwürdig zu werden. Daher versuchen die linken Emporkömmlinge im real existierenden Neoliberalismus, sich mithilfe von Diffamierungen linker Andersdenkender als Querfrontler, Aluhutträger und Verschwörungstheoretiker und durch deren Denunziation als rechtsaffin oder antisemitisch als verlässliche Partner in der marktkonformen BRD-Demokratie zu profilieren.
Das hat auch die über deutsche Grenzen hinaus bekannte Nahost-Expertin und Journalistin Karin Leukefeld am eigenen Leib erfahren. In einem Schreiben an die NRhZ, in dem sie der Redaktion zur Entscheidung des Berliner Amtsgerichts gratuliert, skizziert sie den hinterhältigen Kampf der offiziellen gegen alle andersdenkenden Linken:
Es ist ungeheuerlich, dass in Deutschland erneut Menschen ihrer Meinung und ihres Einsatzes für Frieden und Völkerverständigung wegen öffentlich angeprangert, stigmatisiert, diffamiert und bedroht werden. Autoren, Journalisten, Politiker und viele namenlose Aktivisten sind betroffen.
Begriffe aus dem Sprachschatz der Geheimdienste
Tatsächlich sei seit einigen Jahren im linken Spektrum die erschreckende Entwicklung zu sehen, dass Menschen, die für Frieden und gegen Militarismus eintreten, oder Journalisten, die über sie berichten, als „Querfront zwischen Rechten und Linken“ diffamiert werden. Ziel dieser Kampagnen sei es, Aufklärung zu verhindern und durch Denunziation das Engagement dieser Menschen zu lähmen, die sich gegen eine neue deutsche Großmachtpolitik organisieren, die den Krieg so sicher enthält wie die Regenwolke das Wasser.
In den 1950er Jahren galt diese Art der Diffamierungskampagnen vor allem denjenigen, die gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands und die atomare Rüstung auftraten, darunter viele Kommunisten. Später waren es die Proteste gegen den Vietnamkrieg, gegen Kolonialismus, gegen Besatzung und Rassismus. Dann traf es die Initiativen gegen Atomkraft, Proteste gegen den Jugoslawienkrieg, gegen den Afghanistankrieg und dann den Irak-Krieg, gegen die neoliberale Wirtschaftsordnung sowie gegen die Militarisierung des Alltags. Diffamierungskampagne folgte auf Diffamierungskampagne. Aktuell richten sie sich vor allem gegen Menschen, die für Frieden und für die Verständigung mit Russland eintreten.
Allerdings gibt es heute einen wesentlichen Unterschied zu früheren Zeiten: Damals mussten die Vertreter des Kapitals, die rechten Militaristen, die Revanchisten und Erzkonservative die linken Bewegungen für Frieden und gegen Aufrüstung noch selbst denunzieren. Heute erledigt das Establishment der Partei „Die Linke“ diese schmutzige Arbeit für sie. Dafür dürfen Establishment-Linke sogar in Konzernmedien, die sonst ständig für neue Kriege werben, andersdenkende Friedensaktivisten als „Querfrontler“ diffamieren und möglichst auch noch beruflich ruinieren.
Meist finden die linken Schmutz- und Diffamierungsaktionen gegen Andersdenkende jedoch anonym statt. Nur selten können Ross und Reiter so klar benannt werden wie im Fall Lederer. Daher hat Wolfgang Gehrcke, bis 2017 außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Linken, daran erinnert, dass Ausdrücke wie „Querfront“ aus der Requisitenkiste der Geheimdienste stammen. Zugleich hat er den Vorstand der Linken aufgefordert: „Macht Schluss mit stalinistischen Geheimverurteilungen.“ Stattdessen plädiert er für eine „öffentliche argumentative Auseinandersetzung“ statt Verurteilungen mit leeren Begriffen.